Nie wieder Stau

Automobilhersteller arbeiten mit Hochdruck am vernetzten und autonomen PKW. Die Fahrzeuge sollen den Verkehr effizienter und sicherer machen.
Stau
Illustration: Wyn Tiedmers
Kai Kolwitz Redaktion

Ein letzter Kaffee, dann der Weg zur Garage. Kurz den Wagen von der Ladestation abnabeln, auf den Fahrersitz und das Fahrziel „Büro“ im Steuerungssystem bestätigen. Den Rest macht das Auto alleine. Es lenkt, bremst, beschleunigt, hält an roten Ampeln und rangiert schließlich im Firmenparkhaus sogar selbstständig auf den Stellplatz. Nur wenn die Lage zu unübersichtlich wird oder eine Entscheidung gefragt ist, ertönt ein Signal und der Fahrer muss kurz von Hand eingreifen. So lange der Verkehr in normalen Bahnen läuft, kommt das Auto auch ohne den Menschen auf dem Fahrersitz zurecht.

 

Eine Zukunftsvision? In der Tat. Aber eine, die in wenigen Jahren schon Wirklichkeit sein könnte. Denn auf dem Weg zum autonom fahrenden Auto sind die Hersteller schon weit voran gekommen. Abstandsregeltempomaten messen die Distanz zum Vordermann und bremsen oder beschleunigen das Fahrzeug automatisch. Spurhalteassistenten überwachen die Fahrbahnmarkierungen. Kameras, Sensoren und schnelle Computer im Auto analysieren den Verkehr und erkennen heute schon automatisch, wann die Lücke groß genug ist zum Überholen.

 

Aus all dem hat Mercedes den so genannten „Drive Pilot“ geschaffen, der die neue E-Klasse automatisch über die Autobahn steuert. Nur gelegentlich muss der Fahrer per Sensor bestätigen, dass er noch da ist und eingreifen könnte. Autobahnkreuze und ähnliches können die Elektronik noch überfordern. Aber die Routinearbeit schafft der Wagen alleine.

 

BMW, Audi und weitere haben immerhin schon Stauassistenten im Programm, die ihre Modelle selbstständig durch den zähen Verkehr lenken. Und verbreiten sich die Innovationen weiter, dann werden die autonomen Steuerungssysteme in einigen Jahren auch in den ganz
kleinen, billigen Fahrzeugen angekommen sein. Im April 2016 billigte das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf, der erlaubt, dass Computer im Auto mehr Steuerungsaufgaben ausführen dürfen. Es muss nur sichergestellt sein, dass der Fahrer die Elektronik überstimmen kann.

 

Die Szenarien, in denen in Zukunft die Automatik lenken soll, zeigen, in welche Richtung die Entwickler blicken. Nicht übernehmen soll die Elektronik in Situationen, in denen das Fahren Spaß macht. Doch die Routinefahrten, den Stau, das, was zermürbt und müde macht, das soll Elektronik dem Menschen in einigen Jahren abnehmen. 

 

Erst recht gilt das für den Bereich, in dem das Fahren zum reinen Job wird: Mercedes etwa erprobt auch Nutzfahrzeuge mit Autopilot, seit dem vergangenen Jahr sogar mit Genehmigung auf öffentlichen Autobahnen. Die Logik dahinter: Ein solcher Assistent wird nie müde, er verschleißt nicht an schlechter Luft und Monotonie, er bremst auf jeden Fall, wenn vor ihm der Verkehr steht – und er geht keine Risiken ein, weil er schnell nach Hause will oder einfach die Geduld verliert. Bei Mercedes glaubt man deshalb, durch autonom oder teilautonom fahrende LKW die Zahl der schweren Unfälle mit solchen Fahrzeugen deutlich verringern zu können und gleichzeitig das Leben derjenigen, die sie lenken, angenehmer zu machen. 

 

Erst recht wird das zum Tragen kommen, wenn Fahrzeuge nicht mehr als autonome Teilchen in einem unstrukturierten Verkehr unterwegs sein werden. Auch hier wird sich das Fahren in den kommenden Jahren wohl deutlich verändern: Im Moment wird gerade der so genannte „Car2X-Korridor“ aufgebaut, der sich als Teststrecke von Rotterdam via Frankfurt bis nach Wien ziehen soll. „Car2X“ steht für die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur, deshalb wird entlang des Korridors intelligente Technik montiert, die mit den vorbeifahrenden Autos Informationen austauschen kann.

 

Im ersten Schritt werden das vor allem Warnungen vor Baustellen sein, in Zukunft könnte das Angebot immer umfassender werden: Das Stauende, die ungesicherte Unfallstelle hinter der Kurve, die plötzliche Glätte – all das, was ein Fahrzeug einmal registriert hat, könnte auch dem nachfolgenden Verkehr zur Verfügung gestellt werden. Parallel dazu könnten auch die Lenkmanöver des einen PKW in Echtzeit in die Berechnungen der anderen Fahrzeuge einfließen. Staus ließen sich im Kollektiv der vernetzten Fahrzeuge so managen, dass dabei möglichst wenig Zeit und Energie für alle auf der Strecke blieben.

 

»Experten rechnen mit deutlichen Sicherheits- und Effizienzgewinnen.« 

Experten rechnen mit deutlichen Sicherheits- und Effizienzgewinnen, wenn der vernetzte Verkehr einmal flächendeckende Wirklichkeit ist. Beim „Car2X-Korridor“ ist Siemens einer der wichtigsten Zulieferer. „Die Vernetzung legt wiederum die Grundlage für die Zukunft des autonomen Verkehrs“, beschreibt Daniel Hobohm, Experte im Bereich Intelligente Verkehrssysteme des Unternehmens. Auch freie Stellplätze in Parkhäusern sollen nach der Siemens-Vision in Zukunft in die Info-Netzwerke einfließen, ebenso wie Standorte und freie Kapazitäten an Ladestationen für E-Autos in der Nähe. Denn auch diese Technologie dürfte nach mühsamem Beginn in den kommenden Jahren deutlich Fahrt aufnehmen – und das Fahren auf eine weitere Art neu definieren.

 

Visionäre träumen derweil weiter von der Brennstoffzelle – einem Aggregat, das Wasserstoff schadstofffrei in Elektrizität umwandelt und dessen Treibstoff sich tanken ließe wie Benzin. Die Technik ist serienreif, nur eine Investition in entsprechende Zapfsäulen wäre nötig. Der Wasserstoff wiederum ließe sich mit dem überschüssigen Strom erzeugen, den Windkraftanlagen an stürmischen Tagen erzeugen – das Ideal von der schadstofffreien Fortbewegung wäre plötzlich ganz nah.

 

Aktuell sind Technik-Ethiker damit beschäftigt, die Frage zu stellen, welche moralischen Probleme automatisch fahrende Autos wohl in Zukunft aufwerfen. Doch die Ingenieure sind geneigt, sie zu beschwichtigen. Denn dadurch, dass autonome Systeme rein rational agieren
und darauf gedrillt sind, Risiken um jeden Preis zu vermeiden, so sagen sie, würden sich selbstfahrende Autos im Verkehr sehr vorsichtig verhalten. Viel defensiver als man das von menschlichen Fahrern kennt
. 

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