»Der Mittelstand ist weit digitaler, als viele denken«

Von wegen Hinterherhinken: Hagen Rickmann, Geschäftsführer Geschäftskunden der Telekom Deutschland, wendet sich gegen das verbreitete Digital-Bashing des Mittelstands – und plädiert für einen intensiveren Austausch der Unternehmen untereinander.
Hagen Rickmann
Hagen Rickmann treibt als Telekom-Manager die digitale Transformation des Mittelstands voran
Telekom Beitrag

Herr Rickmann, in Sachen Digitalisierung gilt der Mittelstand vielen als Sorgenkind. „Potenzial nicht ausgeschöpft“, „Anschluss verloren“, so urteilen zahlreiche Studien. Verschläft das Herz der deutschen Wirtschaft die digitale Transformation?
Ganz klar: nein. Ich sehe hier keine Schlafmützen. Der Mittelstand ist weit digitaler, als viele denken. Kleine und mittlere Unternehmen haben die Dringlichkeit, vor allem aber die gigantischen Möglichkeiten erkannt. Wir sehen ein stark steigendes Bedürfnis nach Beratung, die Unternehmen geben jetzt Gas, um ihr digitales Potenzial auszuschöpfen. Sie digitalisieren sich, Schritt für Schritt. Das belegt unser aktueller Digitalisierungsindex Mittelstand (siehe Kasten), ein starkes Signal gegen die übliche Schwarzmalerei. Und: Das Thema ist Chefsache. Der Generationenwechsel wird weiteren Schub bringen.

Der Durchschnitt im Index liegt bei 52 von 100 Punkten. Doch es gibt große Unterschiede. Ist Mittelstand nicht gleich Mittelstand?
Unsere Untersuchung zeigt: Deutschlands Mittelständler sind mit verschiedenen Geschwindigkeiten unterwegs. Einige Unternehmen stehen ganz am Anfang der digitalen Transformation, da gibt es nichts zu beschönigen. Viele andere sind aber bereits auf dem Top-Niveau unterwegs: Zehn Prozent der Index-Besten erreichen einen sehr guten Wert von achtzig Punkten oder mehr. Der digitale Reifegrad hängt von der Firmengröße ab – und von der Branche. Industrie oder professionelle Dienstleister sind Vorreiter, größere Unternehmen sind im Schnitt schon weiter.

Warum tun sich kleinere Firmen so schwer?
Viele haben keinen eigenen IT-Bereich oder gar eine Digitalabteilung. Das kann man kritisieren – oder als Strategie mit Augenmaß interpretieren. Denn nicht alle Aspekte der Digitalisierung sind für alle gleich relevant. Ein Beispiel: Eine Firma mit nur drei Mitarbeitern braucht nicht unbedingt eine Collaboration-Plattform – die Kollegen tauschen sich einfach beim Kaffee aus, ganz analog und höchst effizient. Gerade für den Mittelstand kann die Lösung nicht lauten, jede neue Technik blind zu kopieren, sondern da, wo es sinnvoll ist, pragmatisch und effizient zu adaptieren. Einfachheit ist hier ein Essential. Aber ich betone: Zu den digitalen Champions im Index gehören Unternehmen jeder Größe und Branche.

Im Handel sind sie allerdings dünn gesät. Dabei steht der durch Giganten wie Amazon & Co. unter enormem Wettbewerbsdruck.
Dieses Ergebnis hat uns überrascht. Fakt ist: Im Handel wirken Digitalisierungs-Effekte besonders stark auf die Profitabilität. Im Vergleich zu ihren weniger digitalisierten Pendants etwa erwarten die Vorreiter unter den Händlern im kommenden Jahr deutlich mehr Umsatz. Allgemein gilt: Die digitale Spitze weiß, wie Economy 4.0 geht. Diese Unternehmen vernetzen ihre Kommunikation, arbeiten seit Langem automatisiert, haben breite Erfahrung mit Industrie 4.0 und dem „Internet of Things“.

Sicherheit gehört für die meisten Firmen zu den wichtigsten Themen. Machen sich die Firmen mit „German Angst“ das Leben zu schwer?
Unsinn, das Gegenteil ist richtig. Die jüngsten Hackerangriffe zeigen, dass selbst Facebook oder Amazon nicht unverwundbar sind. Ich empfehle dem Mittelstand sogar, diese Einsicht zum eigenen Gütesiegel weiterzuentwickeln: „Sicherheit made in Germany“.

53 Prozent der befragten Unternehmen erhoffen sich von der digitalen Transformation mehr Innovation und Produktivität. Lassen sich die hohen Erwartungen erfüllen?
Die Klagen über den vermeintlich phlegmatischen Mittelstand stören mich schon lange. Gerade kleinere und mittlere Unternehmen können neue Technologien oft schneller ausprobieren und ausrollen als große Konzerne. 3-D-Druck, smarte Maschinen, Big Data – hier öffnet sich ein riesiges Spielfeld für Innovationen. In Deutschland haben wir rund 1600 Hidden Champions – hoch spezialisierte Unternehmen, die seit jeher auf höchste Qualität, Kundenorientierung und Flexibilität setzen. Denen muss keiner erklären, dass der Superlativ von Innovation heute digital heißt. Der Grad der Digitalisierung wird künftig mit dem Geschäftserfolg korrelieren. Das heißt aber auch: Sie ist kein Selbstzweck, sondern muss Produktivität und Gewinne messbar steigern.

Was brauchen Mittelständler, um ihre Chancen optimal zu nutzen?
Die Unternehmen benötigen ausreichend digitale Fachkräfte. Der Schwerpunkt des nächsten IT-Gipfels ist digitale Bildung, ganz zu Recht. Die Regierung hat den Schulen zwar gerade fünf Milliarden Euro für digitale Endgeräte und WLAN in Aussicht gestellt – aber das kann nur ein Anfang sein. In Tschechien etwa haben schon Grundschüler Informatikunterricht. Bei uns können Sie immer noch Abitur machen, ohne jemals mit dem Fach in Berührung gekommen zu sein.

Was können die Unternehmen selbst tun?
Sie sind in der Pflicht, ihre Mitarbeiter weiterzubilden. Aber vor allem sollten sie stärker voneinander lernen. Die größten Effekte hätte eine Art Digital-Coach-Initiative der deutschen Wirtschaft. Über eine gemeinsame Plattform könnten sich Start-ups, Mittelständler und Konzerne untereinander austauschen und sich unterstützen. Es gibt noch viele digitale Potenziale, die wir in den nächsten Jahren miteinander heben können.

www.telekom.de/gk/digitalisierungsindex

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